Eigentlich war ja angedacht, dass wir am Donnerstag unseren letzten Wandertag machen und danach gleich nach Hause fahren. Aber die Prognosen für den Donnerstag sind übel, so werden wir also am 24. Juni 2025 die letzte Tour unserer Tessin-Ferien unternehmen. Weswegen Paul es grad nochmals wissen will! Wir laufen bereits um 6 Uhr in Foroglio im Val Bavona los. Es ist wieder ein prächtiger wolkenloser Tag, aber schon morgens recht warm und drückend. Wir wollen die Bocchetta di Nassa übersteigen, die wohl kaum noch begangen wird. Ob die Wege noch existieren? Erst mal finden wir bereits ausgangs Foroglio den Einstieg gut. Der Weg hinauf nach Semacorte ist nicht zu verfehlen, aber ziemlich stotzig, so dass wir grad froh sind, noch im Bergschatten laufen zu können. Kurz danach verlassen wir den aber, und nun folgt bis hinauf nach Corte di Fondo die eindrücklichste Passage dieses Anstiegs. Das Gelände wird nämlich noch steiler, und hier hat der Tessiner Wegbauer wieder mal ganze Arbeit geleistet. Kleinste Treppen wurden an schmalsten Stellen angebracht, damit man irgendwie die Felsstufen überwinden kann. Und da haben die früher ihr Vieh hinauf getrieben? Kein Wunder, ist immer mal wieder ein Tier abgestürzt! Nun, heutzutage ist die Alpe di Nassa nicht mehr bestossen, und die Wege werden wohl von den Jägern unterhalten. Und unterhalten sind sie zu unserer grossen Überraschung sehr gut! Nach diesem extrem steilen Aufstieg gönnen wir uns bei Corte di Fondo eine Pause. Hier hat es auch Wasser. Nun folgen wir einem gut ausgeschnittenen und mit Steinmannli markierten Weg. Eigentlich wollen wir ja nach Corte di Mezzo aufsteigen, Paul merkt aber erst nach gut 100 Höhenmetern, dass der von uns eingeschlagene Weg wohl direkt nach Corte di Cima hinauf führt. Auf der Karte verzeichnet ist er allerdings nicht. Auch egal! Der Weg ist gut und nicht zu verfehlen. Bald trifft er auf den von Corte di Mezzo her führenden Weg, der hingegen auf der Karte eingezeichnet ist. Kurz danach stossen wir auf eine Wasserleitung, welche die letzte Wasserstelle bis über den Pass hinaus ist. Nun treten wir immer mehr aus dem Wald und steigen eine prächtige ehemalige Alpwiese hinauf nach Corte di Cima, wo wir nochmals ausgiebig rasten. Soweit so gut! Bis hierher war’s zwar recht anstrengend, aber ohne navigatorische Schwierigkeiten. Und nun? Erst mal sehen wir einen ausgeschnittenen Weg, der uns hinauf zur Bocchetta di Nassa führen sollte. Nicht weit muss das erste Blockfeld überquert werden. An dessen Ende zeigt ein grosser Steinmann, wo der Weg weiter geht. Gelegentlich sehen wir stark verblasste blaue und – man staune! - ebenfalls kaum mehr sichtbare weiss-rot-weisse Markierungen. War der Übergang über die Bocchetta di Nassa in grauer Vorzeit tatsächlich mal ein offizieller Wanderweg? Nun, wie dem auch sei, kurz nach dem Blockfeld wird der Weg immer schlechter sichtbar. Bis zum Übergang zur Alpe di Solögna auf ca. 2090m geht es ja noch ganz gut, danach verlieren wir die Spur gelegentlich. Man halte sich aber einfach möglichst an die Felswände des Pizzo Piènsgia, dann findet man mit Sperberaugen gelegentlich alte Markierungen. Zwischendurch wird die Spur dann auch wieder mal ausgeprägter, so dass wir schliesslich ohne grössere Schwierigkeiten die Bocchetta di Nassa erreichen. Nur, was donnert denn da im Kessel über dem unteren Lago della Cròsa dermassen? Ein Helikopter der Armee dreht dort im Tiefflug ein paar Runden, landet schliesslich bei der Hütte westlich des Sees, steigt wieder auf und dreht nochmals ein paar Runden, bevor er endlich die Gegend verlässt und wieder Ruhe einkehrt. Und ruhig ist es hier tatsächlich! Bisher ist uns – erwartungsgemäss – noch keine Menschenseele begegnet. Die ersten Meter des Abstiegs sind sehr steil, aber hier ist der Weg wieder gut zu erkennen. Kaum lässt das Gefälle nach, verliert sich der Weg. Man zielt aber einfach auf den See zu und findet schliesslich eingangs Blockfeld, das zu queren ist, eine deutliche Bergwegmarkierung. Das Seeufer erreicht man so leicht, und ich bin unglaublich froh, mich endlich im Wasser abkühlen zu können. Bestimmt 10 Minuten stehe ich im Wasser herum! Es ist nämlich auch auf dieser Höhe heute recht warm. Nun wollen wir den Weg suchen, der etwas oberhalb des Sees direkt zum ins Val Calnègia hinunter führenden Wanderweg leiten soll. Den Einstieg finden wir zwar, aber die nächsten 200 Meter sind ziemlich botanisch. Wir kämpfen uns durch Alpenrosen und Erlen, bis wir schliesslich den Einschnitt, wo das Wasser des Sees unterirdisch abläuft, erreichen. Der zweite Teil ist zwar noch ausgesetzter, dieser wird aber offensichtlich unterhalten und ist sogar gesichert, so dass wir recht zügig den Wanderweg erreichen. Völlig alleine sind wir hier oben! Erstaunlich, ist es doch das ideale Wanderwetter heute. Mal abgesehen von den Temperaturen vielleicht... Bis Mött auf der Alpe della Cròsa steigt man ring ab, danach wird es steiler und steiler. Die nächsten knapp 1000 Höhenmeter Abstieg haben es währli in sich. Bis hinunter zur Alpe Gradisc steigt man hauptsächlich auf Gletscherschliff-Felsen ab. Ziemlich unangenehme Reibung an meinen Leder-Sohlen! Danach endlich Treppenstufen. Erst freuen wir uns ja, aber die wollen und wollen nicht mehr enden! Schliesslich sind wir gottenfroh, als wir endlich den Talboden des Val Calnègia erreichen, und die Beine wieder mal etwas entspannen können. Auf diesen Treppen kommen uns übrigens die einzigen anderen Wanderer entgegen, die wir heute sehen. Hier am Talboden hat das Unwetter von 2024 wohl auch gewütet und seine Spuren hinterlassen. Wo auch immer eine Runse ins Tal hinein führt, muss damals ein Sturzbach hinunter gedonnert sein, der alles mitgerissen hat. Die Wege sind inzwischen aber notdürftig instand gestellt, so dass wir das schöne Tal recht zügig durchschreiten. Einmal müssen wir uns noch durch eine Kuhherde quetschen: Kühe, ihre Kälber und sogar ein Stier liegen um den Wanderweg herum. Aber es ist wohl auch denen zu heiss, um auf mich zu reagieren, so dass wir problemlos durch kommen. Schliesslich überqueren wir aus Versehen die Calnègia noch eine Brücke zu früh und sind froh, dass auch auf der anderen Seite ein guter Weg hinunter nach Puntid führt. Den Schlussabstieg hinunter nach Foroglio bringen wir ebenfalls zügig hinter uns. Es gibt – quasi zum Dessert – noch mehr Treppenstufen! So, jetzt sind wir ziemlich geschlaucht! Fast zehn Stunden waren wir mit Pausen unterwegs! Ein würdiger Abschluss für unsere Tessin-Wanderferien, der nochmals alles geboten hat, was man im Tessin erwarten darf. Eine ganz super schöne Runde die zu empfehlen ist!